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Blogbeitrag

Interviewreihe: #1 Green Coding – von der Theorie in die Praxis

Auch die Informatik und ihre Produkte tragen maßgeblich zur globalen Erderwärmung und deren Auswirkungen auf Natur, Umwelt und Klima bei. Angesichts der drängenden Klimakrise betont die Gesellschaft für Informatik e.V. (GI) daher die Verantwortung der Informatik auf dem Weg zur Klimaneutralität bis 2045. In dieser dreiteiligen Interviewreihe werden Expert*innen aus verschiedenen Forschungsbereichen befragt, wie nachhaltige Informatik gelingen kann.

 

Im ersten Interview stellen wir uns die Frage: Wie können wir das Bewusstsein für nachhaltige, ressourcenschonende Softwareentwicklung verbessern und Entwickler*innen richtig schulen? Verena Majuntke, Professorin für Software Engineering an der Hochschule für Technik und Wirtschaft (HTW) Berlin und Expertin für nachhaltige Softwareentwicklung, beschäftigt sich mit der Integration von Green Coding in Ausbildung und Praxis. Im Interview erklärt sie, welche Maßnahmen notwendig sind, um das Bewusstsein für nachhaltige Softwareentwicklung zu fördern und welche Herausforderungen damit verbunden sind.

Welche Herausforderungen sehen Sie hinsichtlich der Transformation von Unternehmen hin zu einer nachhaltigen Softwareentwicklung?

Es gibt einige Herausforderungen, die je nach Perspektive variieren. In den meisten Unternehmen ist das Thema Nachhaltigkeit – insbesondere auch aufgrund von Regularien – angekommen und wird adressiert. Die IT steht dabei jedoch nicht oben auf der Prioritätenliste und wird in Teilen nicht als wesentlicher Faktor wahrgenommen. Hier könnte die Politik unterstützend eingreifen, indem sie beispielsweise eine größere Transparenz der Nachhaltigkeit in der IT fordert. Viele Unternehmen, selbst solche, die nicht primär Software entwickeln, verfügen meist über eine umfangreiche System- und IT-Landschaft. Auch die Bereitstellung der Systeme kann mehr oder weniger ressourceneffizient sein. Ein Bewusstsein dafür fehlt oft. Und wenn dieses auf Management-Ebene fehlt und ökologische Nachhaltigkeit der IT nicht als Unternehmensziel definiert ist, dann ist die Integration von Nachhaltigkeitspraktiken in der Entwicklung eher unwahrscheinlich. Natürlich gibt es auch einige in der Entwickler*innen-Community, die sich für das Thema einsetzen und versuchen, es in Unternehmen voranzutreiben. Wenn aber beispielsweise in der Softwareentwicklung die Priorität seitens des Auftraggebers oder der Verantwortlichen auf der Entwicklung neuer Features und nicht auf Qualitätsmerkmalen wie Ressourceneffizienz liegt, dann wird ökologische Nachhaltigkeit weiterhin wenig Beachtung finden. 

Welche Rolle spielt die Schulung von Entwickler*innen bei der Förderung nachhaltiger Softwareentwicklung?

Bewusstseinsbildung ist ein wesentliches Element. Ohne ein Bewusstsein für ein Thema kann ich daran auch nicht arbeiten. Wenn ich als typische Smartphone-Nutzerin etwa Videos auf YouTube streame, nehme ich lediglich die Energiekosten für das Aufladen meines Smartphones wahr. Die verbrauchte Energie und die damit verbundenen Kosten für die Umwelt, die die gesamte Infrastruktur benötigt, um ein Video zur Verfügung zu stellen, bleiben für mich verborgen. Ohne eine Auseinandersetzung mit dem Thema wird sich daran auch vorerst nichts ändern. Dementsprechend ist die Schulung von Entwickler*innen ein zentraler Baustein, um die Software und ihre Entwicklung nachhaltig zu gestalten. Doch das allein reicht nicht aus, um das Thema in die Breite zu tragen. Hier müssen auch Entscheider*innen und Politik aktiv werden.

Was ist der Status quo an Hochschulen? Müssen wir die Lehrpläne anpassen, um hier das Bewusstsein zu schaffen, das Sie angesprochen haben?

Das ist schwer zu verallgemeinern. Studiengänge wie Informatik, Wirtschaftsinformatik oder Medieninformatik bilden ja nicht direkt Entwickler*innen aus. Sie können eine Grundlage bieten, aber viele Fähigkeiten werden häufig erst in der Praxis und durch die Arbeit mit Kolleg*innen vermittelt. Ein abgeschlossenes Studium bedeutet nicht zwangsläufig, dass man gut in Softwareentwicklung ist. Auch gibt es in der Entwicklung eine Vielzahl von Quereinsteiger*innen, die keinen informatikbezogenen Studienabschluss haben. Dennoch sollte eine Bewusstseinsbildung meiner Meinung nach in die Lehrpläne mit aufgenommen werden. Als Professorin im Studiengang Wirtschaftsinformatik an der HTW Berlin im Bachelor und Master kann ich sagen, dass dieser Studiengang regelmäßig obere Rankings belegt. Das Curriculum umfasst sowohl Informatik-Fächer, als auch BWL- und Wirtschaftsinformatikfächer. Mit den drei Säulen ist das Studium sehr breit aufgestellt und viele Inhalte, die in einem klassischen Informatikstudium vermittelt werden könnten, finden hier keinen Platz. Dennoch gehen circa 30 bis 40 Prozent der Absolvent*innen in die Softwareentwicklung, weil sie Freude daran entdecken oder weil sie sich im Requirements Engineering oder als Product Owner an der Schnittstelle zwischen Entwicklung und Kund*in wiederfinden und eben auch die wirtschaftlichen Aspekte kennen. Gerade hier ist es wichtig, dass die Absolvent*innen ein Bewusstsein für nachhaltige Softwareentwicklung haben und sich bei Bedarf entsprechend weiterbilden. Ich werde in diesem Semester mit einer Bewusstseinsbildung im ersten Fachsemester Wirtschaftsinformatik beginnen. Ich bin gespannt, wie sich das über die Zeit entwickelt. 

Das Interview führte Teresa Zeck.

Foto von Verena Majuntke
Prof. Verena Majuntke sieht Bewusstseinsbildung als wesentliches Element zur Förderung nachhaltiger Softwareentwicklung. (© HTW Berlin)