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NetzwerkInterviewSicherheit - Schutz und Zuverlässigkeit

Die Informatik braucht eine selbstkritische Reflexion

Informatische Systeme sind heute beinahe überall im Einsatz, vom E-Commerce über die Kommunikation oder sogenannte Wearables bis hin zur intelligenten Heimvernetzung reichen digitale Technologien heute weit in den Alltag jedes Einzelnen hinein.

Doch sind diese Systeme überhaupt noch beherrschbar? Und was sind die großen Herausforderungen für die Digitalisierung in der Wissenschaft? Darüber sprachen wir mit Prof. Dr. Hannes Federrath, der lange dem Fachbereich „Sicherheit, Schutz und Zuverlässigkeit“ als Sprecher vorstand, seit knapp zwei Jahren dem GI-Vorstand angehört und für dieses Amt des Präsidenten der Gesellschaft für Informatik e.V. kandidiert.

Herr Prof. Federrath, was können andere Disziplinen von der Informatik lernen? Und was kann die Informatik von anderen Disziplinen lernen?

Informatiker gestalten heute unsere Gesellschaft unmittelbar mit. Informations- und Kommunikationstechnologien durchdringen alle Lebens- und Arbeitsbereiche. Die Interdisziplinarität von Informatik ist spannend und kann Vorbildcharakter für andere Disziplinen haben. Allerdings haben wir Informatiker auch Systeme geschaffen, die wir vielleicht so niemals wollten. Ich sehe bisher noch wenig Reflexion darüber, was Informatiker und Informatiksysteme erreichen wollten und tatsächlich erreicht haben. Die Geschwindigkeit, mit der sich etwa soziale Interaktion ins Netz verlagert hat, war kaum vorauszusehen.

Es ist Zeit für eine selbstkritische Reflexion, selbstverständlich mit dem Ziel, die Chancen der Informatik verantwortungsvoll zu gestalten. Andere Disziplinen sind älter und gestalten solche Diskurse aktiv. Die Informatik sollte damit nicht zu lange waren. Die NSA-Enthüllungen waren und sind meines Erachtens ein guter Impuls, zumindest hinsichtlich der Abwägung von Überwachung und Freiheit damit zu beginnen. Andere Bereiche der Informatik wie etwa die künstliche Intelligenz müssen folgen, bevor wir uns überrascht fragen: Wie konnte das geschehen.

Was sind die großen Herausforderungen in der Digitalisierung der Wissenschaft?

Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler müssen mit der bestmöglichen Informationsinfrastruktur ausgestattet werden, die sie für ihre Forschung brauchen. Der Wissenschaftsstandort Deutschland muss auch in der digitalen Welt international konkurrenzfähig bleiben. Open Data und Open Access, also der offene und freie Zugang zu Forschungsdaten und -ergebnissen, sind da nur der Anfang. Digitale Publikationen, Forschungsdaten und Quellenbestände sollten möglichst umfassend und offen bereitgestellt werden, um damit auch ihre Nachnutzbarkeit in anderen Forschungskontexten zu gewährleisten.

Gleichzeitig ist zu beobachten, dass die großen internationalen Player der Internetwirtschaft aufgrund der mehr oder weniger illegalen massenhaften Erhebung von Nutzerdaten oft die besseren Voraussetzungen für die datengetriebene Forschung besitzen und diese auch nutzen, leider nicht nur zum Wohl des Einzelnen sondern vielmehr zum besseren Marketing.

Wie kann sich die GI bei diesen Punkten einbringen?

Die Mitglieder der GI arbeiten in den Fachgruppen permanent an relevanten und aktuellen Themen, die unter anderem auch die Digitalisierung der Wissenschaft betreffen. Wir als GI müssen daran interessiert sein, die politischen und fachlichen Grundentscheidungen im Bereich der digitalen Forschungsinfrastrukturen zu verbessern und ihre hierfür eingesetzten finanziellen Ressourcen zu bündeln. Wir müssen die Weiterentwicklung der Regeln unseres Zusammenlebens und -arbeitens mitgestalten und dabei unsere fachliche Kompetenz einbringen. Im Zusammenhang mit der Digitalisierung der Wissenschaft spielt etwa auch die Weiterentwicklung des Urheberrechts unter den Bedingungen der Digitalisierung eine entscheidende Rolle. Zugespitzter stellt sich die Frage, ob es überhaupt noch durchsetzbares Urheberrecht unter den Bedingungen der Digitalisierung geben kann.

Was glauben Sie, sind die großen Herausforderungen der GI?

Die GI hat vor drei Jahren fünf Grand Challenges der Informatik benannt, deren Lösung unser Fachgebiet und unsere Gesellschaft voranbringt. Da ist etwa die Herausforderung, das digitale Kulturerbe für unsere Nachwelt zu erhalten. Drei Challenges setzen sich mit der Frage auseinander, wie wir das Internet mit seinen zahlreichen Anwendungen noch sicherer, vertrauensvoller und besser machen können und wie wir systemische Risiken von weltweiten Netzen beherrschbar machen können. Eng damit verbunden ist auch die Herausforderung, die Mensch-Computer-Interaktion einfach, fehlerfrei und sicher zu gestalten. Die Kernfrage dabei ist, wie es uns gelingt, dass möglichst alle Menschen an der digitalen Welt teilhaben können – egal, welche Herkunft, Bildung oder welches Alter sie haben und wie wir sicherstellen, dass Software-Anwendungen, die heute bereits viele Prozesse steuern, auch stets zuverlässig funktionieren.

Welche Themen wollen Sie persönlich in der GI weiter vorantreiben?

Als Professor für Sicherheit in verteilten Systemen an der Universität Hamburg ist es mir wichtig, die Vertrauenswürdigkeit von IT-Systemen und Software zu stärken. Dazu gehören auch Fragen des Datenschutzes, der Datensicherheit und der Zuverlässigkeit der Systeme. Persönlich liegt mir am Herzen, einerseits die GI und ihre Arbeit nach außen noch sichtbarer zu machen. Aber auch innerhalb der Gesellschaft will ich mich dafür einsetzen, dass wir an einem Strang ziehen und als schlagfertige Gemeinschaft wahrgenommen werden. Wir sind der größte deutschsprachige Fachverband für Informatik. Damit wir das auch bleiben, ist jedes einzelne Mitglied gefragt: Je mehr Menschen sich in unserem Verband einbringen, desto mehr können wir erreichen – und zwar für die Gesellschaft als Ganzes.

Herr Prof. Federrath, wir danken Ihnen für dieses Interview.

Zur Person: Prof. Dr. Hannes Federrath

Prof. Dr. Hannes Federrath hat die Professur für Sicherheit in verteilten Systemen am Fachbereich Informatik der Universität Hamburg inne. Bei der GI engagierte sich Professor Federrath von 2011 bis 2016 als Sprecher des Fachbereichs Sicherheit, Schutz und Zuverlässigkeit.