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Blogbeitrag

Mit Biometrie bezahlen: Einkaufsrevolution oder gläserne Kundschaft?

Der Bezahlvorgang an Kassen kann eine lästige und zeitraubende Prozedur sein. Während kontaktlose Bezahlfunktionen mit der Karte oder internetfähigen Geräten hier bereits Abhilfe schaffen und diesen Prozess beschleunigen, könnte es bald eine neuartige Bezahlmethode geben, die völlig ohne technische Hilfsmittel auskommt: die eigene Hand.

Dies geht aus dem US-Patent 20190392189 hervor, welches bereits 2018 von Amazon eingereicht wurde (uspto.gov). Berichten zufolge, plant Amazon diese Technologie sowohl in seinen eigenen Amazon-Go-Supermärkten, als auch in diversen anderen Geschäften zu installieren (t3n.de).

Anders als die herkömmlichen Scanner-Technologien, wie z.B. den in Smartphones verbauten Fingerabdruck-Scannern, soll der Hand-Scanner von Amazon völlig ohne physische Berührung auskommen. Aus hygienischer Sicht wäre der Hand-Scanner damit, verglichen mit traditionellen Bezahlmethoden, eine nützliche Innovation. Die technische Umsetzung erfolgt hierbei mittels Methoden aus Computer Vision und Tiefen-Geometrie (nypost.com). Hierzu werden die Form und Größe der Hand analysiert und daraus zu einem möglichst eindeutigen Scan verarbeitet. Bei erstmaliger Benutzung müssen Kundinnen und Kunden ihren Scan mit ihrer Kreditkarte verknüpfen, wodurch diese bei anschließenden Nutzungen automatisch belastet werden kann. Die Verwaltung der Daten erfolgt dabei über die Amazon-Cloud, und neben den Kreditkarten-Informationen wird vermutlich auch eine Verknüpfung mit dem Amazon-Konto des Nutzers möglich sein. Nachdem Nutzerinnen und Nutzer den Hand-Scan einmalig mit der eigenen Kreditkarte verknüpft haben, sind sie laut Amazon in der Lage, den Bezahlvorgang in weniger als 300 Millisekunden abzuschließen. Verglichen mit Karten-Transaktionen, die im Schnitt zwischen 10 und 30 Sekunden benötigen (econstor.eu), ist dies eine enorme Beschleunigung des Vorgangs. 

Berichten zufolge liegt die aktuelle Genauigkeit der Hand-Zuweisung bei 99,9999% mit einer Fehlerquote von einem zehntausendstel von 1% (0,0001%). Bis zur Veröffentlichung soll die Fehlerquote jedoch auf ein Millionstel von 1% (0,000001%) verringert werden (nypost.com). Demnach gäbe es statistisch bei der aktuellen Fehlerquote pro einer Millionen Bezahlvorgänge eine Verwechslung; mit der angestrebten Fehlerquote würde sich dies auf jeden 100 Millionsten Vorgang reduzieren. 

Intern sollen die Hand-Scanner in Amazon-Go-Supermärkten sowie der Amazon-eigenen Bio-Markt-Kette Whole Foods zur Verfügung stehen. Damit erweitert Amazon sein Konzept des smarten Supermarktes, welcher den Kundinnen und Kunden einen Einkauf ganz ohne Interaktion mit der Belegschaft ermöglichen soll. Passend hierzu wurde von Amazon vor kurzem die Einführung von smarten Einkaufswagen angekündigt, die eingekaufte Produkte und deren Gewichte automatisch erfassen (t3n.de). Neben dem internen Einsatz will Amazon die Hand-Scanner-Technologie jedoch auch an diverse andere Geschäfte vertreiben. So sollen zum Beispiel Kaffeehäuser, Fastfoodketten oder andere Geschäfte mit einer starken Stammkundschaft von der Technologie profitieren (t3n.de).

Während insbesondere in Zeiten von Covid-19 hygienische Vorteile nicht abzustreiten und auch ein beschleunigter Bezahlvorgang zu begrüßen ist, gilt es einige negative Aspekte genauer zu beleuchten. 

So kommt es selbst bei der von Amazon angestrebten Genauigkeit von einem hundert Millionstel immer noch regelmäßig vor, dass Bezahlvorgänge falschen Konten zugewiesen werden, vorausgesetzt eine große Anzahl von Menschen nutzt regelmäßig diese Methode zur Bezahlung. Fragwürdig ist hierbei auch, wie fälschlich belastete Kundinnen und Kunden nachweisen können oder sollen, dass sie zum besagten Zeitpunkt nicht eingekauft haben.

Ein weiterer Punkt sind mögliche Datenlecks. Die New-York-Times-Autorin Natasha Singer weist auf die Diskrepanz hin, dass durch die Verwendung von biometrischen Daten häufig eine höhere Sicherheit gegen Identitätsdiebstahl angestrebt wird, gleichzeitig aber auch mehr Angriffspunkte entstehen, an denen man mit böswilliger Absicht ansetzen könnte (nytimes.com). Ebenso haben Jan Krissler und Julian Albrecht bereits 2018 auf dem Hackerkongress 35C3 in Leipzig gezeigt, dass es mit einfachsten Mitteln gelingen kann, damalige Venenerkennungssysteme zu umgehen und fremde Profile zu kopieren (golem.de).

Für Amazon selbst stellt die Technologie potenziell einen enormen Mehrwert dar. Daten über das Einkaufsverhalten der Kundinnen und Kunden würden zukünftig nicht mehr nur auf der hauseigenen Plattform nachvollziehbar, sondern auch darüber hinaus nachverfolgbar sein und somit ein noch vollständigeres Bild des jeweiligen Konsumverhaltens zeichnen. Dies würde zu einem Wettbewerbsvorteil führen, auf dem Amazon seine Monopolstellung in Zukunft weiter ausbauen kann.

Da durch die Verwendung neuer Technologien immer wieder ethisch fragwürdige Situationen entstehen, würden wir uns freuen, gemeinsam einen Diskurs zu genau solchen Fragen zu gestalten. Verlinken Sie uns gerne auf Twitter mit dem Hashtag #RedaktionSozioinformatik.

Diesen Beitrag haben Elrike van den Heuvel, Marlon Gehlenborg und Johannes Korz aus unserer Redaktion Sozioinformatik zusammengestellt. Vielen Dank: