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Meldung

Informatik - quo vadis?

In der neunten Vorstandskolumne machen sich der scheidende GI-Präsident Stefan Jähnichen und der zukünftige Präsident Oliver Günther Gedanken über die Zukunft der Informatik.

Der Titel dieser Glosse ist alt und langweilig! Viele haben sich unter dieser Überschrift schon an einer Vision für Informatik versucht, warum jetzt schon wieder? Nun, die Informatik erlebt derzeit einen enormen Wandel in ihrer Bedeutung und Ausrichtung. Der IT-Gipfel im Dezember 2011 hat die Branche als umsatzmäßig drittgrößte in unserem Land dargestellt, weiteres Steigerungspotential ist klar zu erkennen. Informatik ist "überall drin", und Informatikexpertise wird gebraucht wie nie zuvor. Dabei geht es nicht nur um Technik, Forschung und Entwicklung, sondern auch um die gesellschaftliche und wirtschaftliche Relevanz unseres Fachs.

Die GI ist 42 Jahre jung und darf sich ohne Zweifel rühmen, viel zum Aufbau und zum Erfolg der deutschen, ja auch der europäischen Informatik beigetragen zu haben. Unsere GI ist finanziell gesund und hat mit ihrer fachlichen Struktur, den Fachbereichen, Fachgruppen, Regionalgruppen eine ausgezeichnete inhaltliche und geografische Basis, die die Informatik in all ihren Facetten kompetent vertreten und vorantreiben kann. Die wissenschaftliche Basis an den Hochschulen sorgt für die  weltweite Anerkennung der deutschen Informatik, fördert Innovation und Fortschritt und trägt damit direkt zum Wohlstand unseres Landes bei.

Aber kann und wird das so weiter gehen? Der Fokus von Informatik in unserer Gesellschaft und die Sicht auf die Informatik verschieben sich immer mehr in Richtung Anwendungen. Die neuen Themengebiete kommunizieren das durch das kleine e- (e-mobility, e-government, e-health) oder durch die fast schon inflationär genutzte Kennzeichnung neuer Technologien als "smart-technologies". Wir können uns darüber freuen, dass mit diesem Trend der Informatik der Stellenwert zugebilligt wird, den sie lange eingefordert hat und der ihrer Bedeutung für die Wertschöpfung einer Industrienation gerecht wird. Allerdings laufen wir Gefahr, dass bei dieser anwendungsorientierten Betrachtung der Stellenwert der Kernkompetenzen unserer Fachdisziplin schwindet.

Rechner als das Symbol der Präsenz von Informatik werden immer schneller, aber auch immer kleiner und sind in unserem Alltag kaum mehr als solche sichtbar. Die Software als Treiber dieser Rechner wird immer komplexer, ist aber von je her unsichtbar in den Mikro- oder Nanostrukturen der Rechner verborgen. Deutschland ist und war stark in den produzierenden Branchen, und die Informatik hat mit "embedded systems" entscheidend zum Erhalt der Wettbewerbsfähigkeit deutscher Produkte beigetragen. Wer von unseren Mitbürgern ist sich schon klar darüber, dass die Sicherheit und der Komfort in unseren Automobilen von den vielen Rechnern (ca. 80 in den hochpreisigen Modellen) herrührt und die Informatik inzwischen ein Garant für die hohe Wertschöpfung in der Automobilindustrie ist? Auch wenn die Rechner unsichtbar geworden sind, darf die  Informatik sich nicht in die Rolle eines Zulieferers verbannen lassen. Sie muss vielmehr darauf drängen, mit ihren Kernkompetenzen in der Gesellschaft ebenso wie in der Industrie und an den Hochschulen prominent wahrnehmbar zu sein.

Um die Informatik vor dem Hintergrund der beschriebenen Entwicklungen nicht weiter „unsichtbar“ werden zu lassen,  müssen wir in den Hochschulen wie in der betrieblichen Praxis darauf achten, die Standards unserer Informatikaus- und Weiterbildung hoch zu halten. Wir brauchen mehr junge Frauen und Männer, die Informatik und ihre Anwendungen studieren, wir brauchen Ingenieure mit ausgeprägten Kompetenzen in den technischen Aspekten der Informatik, und wir brauchen anwendungsorientierte Informatiker, die mit Zusatzkenntnissen in den Wirtschaftswissenschaften, den Rechtswissenschaften, der Psychologie und anderer Schwesterdisziplinen die  Probleme unserer neuen Gesellschaft, der „e-society“ , lösen können. Die Wirtschaft ist auf diese Expertise angewiesen, wird allerdings ihre Wertschöpfung leicht in andere Länder verlagern, wenn wir diese Qualifikationen nicht bieten können. 

Die Gesellschaft für Informatik wird sich ihrer Verantwortung für diese gesellschaftlichen Prozesse auch weiterhin stellen. Sie wird auch weiterhin dazu beitragen, dass Informatik der Innovationstreiber unserer Technologienationen bleibt und als solcher auch in unserer Gesellschaft wahrgenommen und gefördert wird.

Was die Weiterentwicklung der GI selbst angeht, planen wir eine Initiative zur Gewinnung von neuen Mitgliedern – nicht nur bei Studienanfängern, sondern auch bei Informatikerinnen und Informatikern in Industrie und öffentlicher Verwaltung. Viele in der Praxis tätige Informatiker kennen die GI nicht einmal. Hier sind wir in der Pflicht, unsere Gesellschaft und ihre Dienstleistungen für Mitglieder klarer zu kommunizieren. Apropos Dienstleistungen: Neben unserer inzwischen recht aktiven Präsenz in mehreren sozialen Netzwerken planen wir demnächst eine Ausweitung des Online-Angebots an aktuellen Inhalten – Stichwort Zeitschriftenportal. All das mit dem Ziel, die öffentliche Sichtbarkeit der GI und damit der Informatik als Fachdisziplin in einer zentralen gesellschaftlichen Rolle nachhaltig zu verbessern. Wir freuen uns auf die weitere Zusammenarbeit mit Ihnen!

(Dezember 2011)

(Kolumne als PDF)