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Lexikon

Memristoren für zukünftige Rechnersysteme

Als Memristor bezeichnet man eine Klasse von elektronischen Zweitor-Bauelementen, deren Strom-/Spannungsverlauf eine zumeist durch den Nullpunkt verlaufende eingeklemmte Hystereseschleife aufweist („if it‘s pinched it’s a memristor“). Memristoren bieten interessante Eigenschaften wie hohe Speicherdichten, niedrige elektrische Leistungen beim Schreiben und Lesen, Multibit-Speicherfähigkeit und CMOS-kompatbile Herstellungsprozesse. Darüber hinaus lassen sich Memristoren nicht nur zum Speichern, sondern auch zum Verarbeiten von Daten nutzen. Memristoren werden zukünftige Rechensysteme auf verschiedenen Ebenen verändern und mehr in Richtung hin zu Speicher-Zentrierten Architekturen verschieben. Dies beginnt bei noch weitgehend konventionellen Ansätzen wie den sog. Storage-Class-Memories, einer neuen Speicherhierarchieebene zwischen Arbeits- und Hintergrundspeicher, und endet bei unkonventionellen Near- und In-Memory-Architekturen, in denen Speichern und Verarbeiten von Daten ohne räumlich große und damit vergleichsweise Energie-intensive Datenbewegen zwischen Prozessoren und Speicher stattfindet. Ferner bieten Memristoren durch die dem biologischen Vorbild eines neuronalen Netzes weitgehend entsprechende direkte Nachbildung von Synapsen als flexible elektrische Widerstände vielfältige Möglichkeiten zur Realisierung neuromorpher und biologisch-inspirierter Schaltkreise und Architekturen.

Memristoren, d.h. resistive Speicher, bezeichnen eine für die Rechen- und Speichertechnik stetig wichtiger werdenden Klasse von Technologien mit nichtflüchtigem Speicher (NVM). Memristor ist ein Begriff, der von Leon Chua geprägt wurde. Ein Memristor hat einen elektrischen Widerstand, der nicht konstant ist, sondern von der zuvor angelegten Spannung V und dem daraus resultierenden Strom I an den beiden Elektroden eines Memristors abhängt. Eine Besonderheit ist, dass der eingestellte Widerstand beim Aus-und Einschalten der Stromversorgung erhalten bleibt. In diesem Sinne erinnert sich der Memristor an seine Geschichte. Zu der Klasse der memristiven Bauelemente gehören NVM-Technologien wie z.B. Resistive RAMs (ReRAMs), Phasenwechselspeicher (PCMs) und magnetische RAMs mit Spin-Torque-Transfer (STT-MRAMs).

Gegenwärtig ist NAND-Flash die gängigste NVM-Technologie. Memristoren bieten jedoch wesentlich schnellere Zugriffszeiten und eine höhere Lebensdauer als Flash. Darüber hinaus sind sie CMOS-kompatibel, d.h. sie können in CMOS-Fertigungsprozesse und mit CMOS-Transistoren integriert werden, um völlig neue Rechen- und Speicherschaltungen zu schaffen. Darüber hinaus bieten sie Multi-Bit-Fähigkeit, d.h. es können mehr als zwei Bits in einer physikalischen Speicherzelle gespeichert werden. Dies eröffnet völlig neue Möglichkeiten für Computerarchitekturen, z.B. Multi-Bit-Caches oder ternäre Datenverarbeitung zur Unterstützung von übertragsfreien Addierern. Da man mit Memristoren nicht nur speichern, sondern auch rechnen kann, sind sie für zukünftige In-Memory-Computing-Konzepte besonders attraktiv. Das Speicherelement wird hierbei zu einem inhärenten Bestandteil des Verarbeitungsschritts, was energieintensive Datenübertragungen vermeidet.

Ein großer Forschungszweig im Bereich des Memristiven Rechnens zielt darauf ab, die Memristor- Widerstandswerte zur Realisierung von Gewichten in analogen neuromorphen Schaltkreisen gezielt zu modifizieren und zu speichern. In der Literatur wurden viele Vorschläge für neuronale Verarbeitungsschemata mit Memristoren zur direkten Nachahmung von Prozessen im Gehirn gemacht, z.B. bei der zeitabhängigen Verarbeitung (Spike Time Dependent Processing, STDP).

Gegenwärtig werden Memristoren bereits in Prozessoren eingesetzt, z.B. als Firmware-Speicher in Mikrocontrollern oder als Alternative zu eingebettetem SRAM. Außerdem werden sie als Kandidat für die nächsten Cache-Realisierungen betrachtet. Die Memristor-Technologie wird die Speicherhierarchie von Computersystemen in naher Zukunft immer stärker beeinflussen. Memristoren werden eine Schlüsselrolle in nichtflüchtigen Prozessoren spielen, die aufgrund ihrer nichtflüchtigen Eigenschaft und ihrer prinzipiellen KI-Berechnungsmöglichkeiten ohne Batterie oder externe Stromversorgung für IoT- oder Embedded-Anwendungen betrieben werden können.

Die Memristor-Technologie wird beitragen, die Unterscheidung zwischen Arbeitsspeicher und Hintergrundspeicher ein großes Stück weit aufzuheben, indem sie neue Datenzugriffsmodi und Protokolle ermöglicht, die sowohl beide Speicherhierarchien bedienen. Solche Techniken werden mittel- bis langfristig radikale Veränderungen in unserer Computer- und IT-Landschaft mit sich bringen. Memristoren werden einerseits viele attraktive qualitative Verbesserungen für neue Computerarchitekturen bieten, andererseits aber auch neue Herausforderungen hinsichtlich der Sicherheits- und Datenschutzrisiken mit sich bringen, die sich aus der Nichtflüchtigkeit von Memristor-Technologien ergeben. All diese Dinge und die immer besser werdende und sich immer weiterverbreitende Technologie der Memristoren machen es mehr denn je notwendig, diesen Prozess von der Seite der Informatik aus zu begleiten und zu gestalten.

Ein kürzlich veröffentlichter Bericht mit dem Titel " Implications of Memristor Technologies for Future Computing Systems " geht genau auf diese Fragen ein. Er gibt einen Überblick über die verschiedenen Memristor-Technologien sowie über ihre zukünftige Verwendung in der Speicherhierarchie, für die Datenverarbeitung und verschiedene Anwendungsbereiche. Er wurde von einer Expertenarbeitsgruppe innerhalb des GI-/ITG-Fachgruppe ARCS (Architecture of Computing Systems) erarbeitet und im Juni 2019 fertiggestellt. Der Bericht kann unter https://fb-ti.gi.de heruntergeladen werden.

Autoren und Copyright

Wolfgang Karl, Karlsruhe Institute of Technology (KIT)
Theo Ungerer, Universität Augsburg,
Dietmar Fey, Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg

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