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Nachbericht

Anwendung und Potenziale der Blockchain-Technologie

Der Fraunhofer-Verbund IUK-Technologie und die Gesellschaft für Informatik luden am 18. Mai zu einem Abendsymposium zum Thema "Anwendungen und Potenziale der Blockchain-Technologie". In welchen Bereichen außerhalb des Finanz- und Vertragswesens ist die Blockchain-Technologie nun tatsächlich nutzbar und sinnvoll einsetzbar? Ist sie der Game-Changer datenbasierten Wirtschaftens und oder bloß ein Hype, der wieder vergeht? Hat Blockchain das Potenzial unsere Wirtschaft sicherer zu gestalten und wo liegen ihre Grenzen?

Die Blockchain-Technologie hat der Krypto-Währung Bitcoin zum Siegeszug verholfen. Zuletzt haben sich 22 der global bedeutendsten Finanzinstitute zu einer Partnerschaft zusammengeschlossen, um Standards und Interoperabilität für das Blockchain-System zu schaffen. Potenzielle Anwendungsbereiche der Blockchain-Technologie reichen vom Vertragswesen über Testamente und Grundstücks- oder Patentverzeichnisse bis hin zu Ampelsystemen, Personalakten und Betriebsabläufen im „Internet of Things“, in der Energiewirtschaft, im Verkehrsbereich oder auch für die Gesundheitswirtschaft bei der Umsetzung von Mechanismen zur Gewährleistung von Eigentumsrechten an Daten. Auch für fälschungssichere Wahlen wird die Nutzung von Blockchain diskutiert.

Professor Peter Liggesmeyer, Präsident der Gesellschaft für Informatik, und Alexander Nouak, Geschäftsführer des Fraunhofer-Verbund IUK-Technologie, begrüßten die über 140 Gäste aus Politik, Verwaltung, Wissenschaft und Wirtschaft. Anschließend stellten sich Experten aus Wissenschaft und Praxis verschiedene Anwendungsfelder der Blockchain-Technologie vor und diskutierten u.a. mit Moderator Sven Oswald (rbb – Rundfunk Berlin-Brandenburg) über deren Potenziale für Wirtschaft und Gesellschaft. Dr. Andreas Goerdeler, Unterabteilungsleiter Nationale und Europäische Digitale Agenda im Bundesministerium für Wirtschaft und Energie (BMWi), wies auf eine Reihe von Projekten hin, die im Rahmen des Förderprogramms „Smart Service Welt II“ bereits Anwendungen basierend auf der Blockchain-Technologie entwickeln.

„Mit der Blockchain-Technologie wäre der Gammelfleich-Skandal wahrscheinlich zu verhindern gewesen“, sagt Prof. Dr.-Ing Peter Liggesmeyer, Präsident der Gesellschaft für Informatik.

Von zentral zu dezentral: Blockchain

Die Kernfunktionalität einer Blockchain, darauf wies Prof. Dr. Gilbert Fridgen vom Fraunhofer Institut für Angewandte Informationstechnik FIT hin, ist die dezentrale Speicherung und Verschlüsselung von Transaktionsdaten in einer langen Kette von Datenblocks. Neue Datenblöcke werden an alle beteiligten Knoten des Blockchain-Netzwerks ohne zentrale Server-Instanz übertragen. Daher wird dieses Konzept auch häufig als eine Peer-to-Peer-Transaktionsplattform bezeichnet. Blockchains und damit verbundene so genannte „Smart Contracts“ haben das Potenzial, einen Quantensprung bei dezentralen Transaktions- und Geschäftsmodellen auszulösen. Mit der Blockchain-Technologie verschiebt sich das Transaktionsmodell von zentral (Banken, Börsen, Handelsplattformen, Energieversorger) zu dezentral (Konsumenten, Energieverbraucher). Transaktionen werden direkt Peer-to-Peer veranlasst und umgesetzt. Dadurch können Kosten gesenkt und Prozesse beschleunigt werden.

Fridgen wies darauf hin, dass das Konzept hinter den Bitcoins verändern kann, wie wir mit buchhalterischen Daten umgehen können – es sei aber zeitgleich nicht für jeden erdenklichen Anwendungsfall geeignet, denn die Blockchain skaliert nicht, ohne Grundprinzipien des Protokolls maßgeblich zu verändern. Zudem fehle es der Blockchain derzeit auch noch an Performance, denn innerhalb der Blockchain gibt es keine Autorität.

Die Blockchain aus rechtlicher Sicht

Rechtsanwalt Stephan Zimprich, Leiter der Kompetenzgruppe Blockchain vom Internetverband eco, sprach zunächst auch über die Potenziale und zitierte Vitalik Buterin: “Instead of putting the taxi driver out of a job, blockchain puts Uber out of job and lets the taxi driver work with the customer directly.” Er thematisierte die unklare rechtliche Situation der Blockchain-Technologie: „In den meisten Rechtsordnungen ist unklar, welchen Status eine Blockchain-Aufzeichnung hat. Ist sie Währung, Devise, Finanzinstrument, Urkunde, Technische Aufzeichnung oder gar eine Signatur?“ Zudem sei die Behandlung eines Datenbankauszugs in einem Gerichtsverfahren unklar. Insbesondere in hochregulierten Bereichen wie etwa Finanz- und Versicherungswirtschaft seien Blockchain-Lösungen derzeit noch oft inkompatibel mit bestehenden Regulierungskonzepten.

Zuletzt stellte Zimprich drei Thesen zur Blockchain auf:

  1. Der Hype ist noch zu klein: Die Blockchain-Technologie habe das Potenzial die Gesellschaft zu verändern, doch dafür muss eine gesellschaftliche Debatte geführt werden.
  2. Die Blockchain ist jetzt: Viele auf Blockchain basierende Anwendungen – siehe Bitcoin – sind schon bereits möglich und die Politik muss heute die Weichen stellen, damit die Entwicklungen am Standort Deutschland vorangetrieben werden können.
  3. Die Blockchain ist in 30 Jahren: Allerdings werden viele Anwendungen erst vor einem langen zeitlichen Horizont ihre Wirkung entfalten, weil gerade in regulierten Märkten zunächst die Rahmenbedingungen verändert werden müssen.

Anwendungsbeispiele der Blockchain-Technologie

Zuletzt kamen die Praktiker und Start-ups zu Wort: Manuel Utz präsentierte das auf Blockchain basierende Konzept einer StromDAO – dabei steht DAO nicht für die „dümmste anzunehmende“ sondern für eine „dezentrale und autonome Organisation“ der Energieversorgung. Demnach ermöglichen Blockchains die Marktintegration von neuen, dezentralen Akteure – ohne eine zentral steuernde Instanz. Utz zu Folge warten Millionen neuer Marktteilnehmer an den Rändern des alten Systems und die dezentrale Energieerzeugung und der Handel müssten völlig neu organisiert werden. „Allerdings sind die Energiemärkte bisher nicht auf eine tiefe Integration “echter“ dezentraler Akteure vorbereitet“, so Utz.

Das Start-up Jolocom will mit seinem „Smart Wallet“ das Identitätsmanagement basierend auf Blockchain revolutionieren. Heute sei das Identitätsmanagement aus Nutzergesichtspunkten schrecklich, so Gründer und CEO Joachim Lohkamp: „Identitäten sind im Netz heute ein Geschäftsmodell. Sie sind in den Händen großer Plattformen, dabei sollten Sie in den Händen der Nutzer sein. Für jeden neuen Service braucht man einen neuen Account und damit eine neue Identität.“ Mit dem „Smart Wallet“ behalte der Nutzer die Datensouveränität und Ansprüche würden durch die Blockchain verifiziert. Gleichzeitig sei das Identitätsmanagement für den Nutzer leicht, sicher und transparent zugänglich.

Dirk Röder, Blockchain Evangelist beim IT-Beratungshaus MaibornWolff, hat dann einige konkrete Beispiele gezeigt, bei denen die Blockchain schon zum Einsatz kommt. So setzt Airbus die Technologie bereits für die lückenlose Dokumentation von allen Bauteilen ein, um die Flugzeugwartung zu optimieren, indem das Vertrauen zwischen Lieferanten gestärkt wird und Unzulänglichkeiten von Bauteilen schnell zu identifizieren und künftig zu vermeiden. Zudem zeichnete er die Vision eine MobilityDAO, bei der die als autarker Mobilitätsanbieter den Individualverkehr neu regeln könnte.

Kooperative MusicBox

Den perfekten Übergang vom fachlichen in den geselligen Teil des Abends lieferte dann die kooperative MusicBox des Fraunhofer FIT, bei der die Teilnehmer mittels QR-Code und ihrem Smartphone über die Playlist abstimmen konnten – basierend auf Blockchain. „Abstimmungen sind ein populäres Beispiel der Nutzung der Blockchain-Technologie“, so Prof. Dr. Thomas Rose. „Es sind keine mehrfachen Stimmabgaben möglich, das Vertrauen in die Durchführung wird durch das Kollektiv gestärkt anstatt einzelne Wahlbeobachter einzusetzen und die Blockchain garantiert Transparenz und Unabhängigkeit“, so Thomas Rose.

Die Gäste des Abendsymposiums schätzten die Potenziale der Blockchain-Technologie in jedem Fall sehr hoch ein: Mehr als sie Hälfte geht demnach davon aus, dass einige Branchen nicht um die Technologie herumkommen werden und mehr als ein Viertel glauben, dass es die Wirtschaft revolutionieren werde.