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Pflege 4.0: Digitale Kompetenzen in den Pflegeberufen

Mobil kommunizieren, smart fortbewegen und digital arbeiten: Die Digitalisierung verändert alle Lebensbereiche. Doch welche Herausforderungen bringt die Digitalisierung für die Pflegepraxis mit sich? Welche digitalen Innovationen werden kommen? Und welche digitalen Kompetenzen werden tatsächlich relevant? Experten aus Politik, Pflegepraxis und Wissenschaft diskutieren am 05. Mai 2017 gemeinsam mit rund 100 Fachbesuchern.

Herausforderungen für die Pflege: Digitale Kompetenzen vermitteln

„Wir müssen die Digitalisierung als Chance begreifen. Denn sie durchdringt schon jetzt alle Lebensbereiche“, so Christine Regitz, Vizepräsidentin der Gesellschaft für Informatik. Auch die anderen Experten sind sich einig: Privat surfen die meisten Pflegebeschäftigten im mobilen Netz. Dennoch sind wichtige Schritte für eine flächendeckende Digitalisierung wichtig. Regitz führt an, dass für eine personalisierte Medizin Daten zusammengeführt und integriert werden müssen. Außerdem seien Konzepte notwendig, die vor Cyber-Angriffen schützen. Roland Knillmann vom Caritasverband Osnabrück betont, dass wir vom „Roboter-Image“ wegkommen müssen.

Nicol Wittkamp warnt vor Altersdiskriminierung in Sachen digitaler Kompetenz: „Es gibt Ältere, die sehr fit sind. Und es gibt junge Auszubildende, die erst an digitale Medien herangeführt werden müssen.“ Gerade das eLearning sei ein gutes Vehikel, um digitale Kompetenzen zu vermitteln: „Das Lernen in der Arbeitszeit von Zuhause aus, ist ein echter Mehrwert.“

Die Strategie „Bildungsoffensive für die digitale Wissensgesellschaft“ des Bundesministeriums für Bildung und Forschung (BMBF) sieht eine Unterstützung für Bundesländer vor, die bereits Schulkindern digitale Kompetenzen vermitteln. Dr. Stephan Luther, Unterabteilungsleiter im BMBF, erläutert: „Wir tragen den digitalen Schub in die Schulen: und zwar in alle. Auch in die Berufsschulen.“ Die Strategie habe, neben einiger Skepsis, viel Zuspruch erhalten. In Rahmen einer Bund-Länder-Vereinbarung, die derzeit entwickelt wird, will der Bund die Schulen in den Ländern dabei unterstützen, neue digitale Lernumgeben zu entwickeln.

Dr. Jens Breuer von der Qualitus GmbH und Dr. Peter Bleses vom Institut Arbeit und Wirtschaft (iaw) stellen den Ansatz und erste Ergebnisse des geförderten Projekts „KoLeGe“ dar. Hier geht es um ambulante Pflege und die Frage, wie Technik in die Pflegeorganisation für gute Arbeitsqualität und Arbeitsorganisation einbezogen werden kann. „Nutzen muss für alle Beteiligten im Feld „Interaktionsarbeit“ am und mit dem Menschen erzeugt werden“, so Jens Breuer. „Entscheidend ist auch zu betrachten, was organisatorisch geregelt sein muss, um Technikeinsatz für alle akzeptabel zu gestalten“, ergänzt Peter Bleses.

Konstantin Holl betrachte Serious Games als Gewinn für die Pflegeausbildung: Angehende Pflegekräfte lernen Abläufe kennen, ohne dass ein tatsächlicher Schaden entstünde. Gerade technikaffine Auszubildende und Nachwuchskräfte stehen diesen Technologien sehr positiv gegenüber. Dies ermögliche einen positiven Zugang zum Pflegeberuf.

Grundlegende IT-Kenntnisse gehören zur Pflegeausbildung, meint Nicole Egbert von der Forschungsgruppe Informatik im Gesundheitswesen an der Hochschule Osnabrück. Als Baukastenprinzip sollten IT-Themen auf den Lehrplan kommen, fordert sie. Prof. Dr. Jochen Koubek, Sprecher des Beirates „IT-Weiterbildung“ der GI betont den Willen als wichtigen Dreh- und Angelpunkt: „Es reicht nicht aus, nur das Schiff bauen zu wollen. Es geht darum, die Sehnsucht nach dem Meer zu empfinden.”

Digitale Innovationen für die Pflegepraxis

Menschen mit körperlichen Einschränkungen leben künftig länger selbständig, erklärt Thomas Bendig, Forschungskoordinator des Fraunhofer-Verbund IUK-Technologien. Auch wenn „es nur ein Wagen ist, der einem folgt: Menschen mit Einschränkung wird hiermit geholfen werden.“ Digitale Geräte sollen sämtliche Körperfunktionen überwachen können. Pflegebedürftige könnten bald im Notfall per Video mit ihrem Arzt oder Angehörigen sprechen.

Aktuell werden Wearables – also tragbaren Computersystemen wie intelligente Kleidungsstücke – entwickelt, die in Accessoires, wie einem Gürtel oder Schuh, integriert sind. Sensoren können körperliche Leistungsgrenzen erkennen und Informationen an Ärzte und Pflegende weitergeben.

Auch Technologie-Skeptiker sollen von intelligenten Lösungen profitieren: Pflaster, die man wöchentlich wechselt, sollen Werte messen und die Medikamentendosis anpassen können. Damit stellt Bendig klar: „In der Zukunft werden Patienten viel individueller begleitet und Personalkräfte entlastet.“ Die zeitfressende und häufig als lästig empfundene aber wichtige Pflegedokumentation soll dann weitestgehend automatisiert passieren. Sensormatratzen und lernfähige Kommunikationstools, die das Pflegepersonal verständigen, werden derzeit entwickelt. Damit bleibt künftig mehr Zeit für das Wesentliche: den hilfsbedürftigen Menschen.

Leitlinien für den Erwerb digitaler Kompetenzen

Unstrittig ist: An der Basis sollen die Mitarbeiter von der Digitalisierung überzeugt werden. Dafür sind Coaches nötig, die diesen Change-Prozess begleiten. „Pflege ist keine Einbahnstraße. Der Austausch geht in beide Richtungen“, wie Martin Schnellhammer betont. Träger und Kostenträger müssen außerdem berücksichtigen, dass die Ethik auch gegen wirtschaftliche Interessen abzuwägen ist. Er fordert vor allem „eine durchlässigere Schnittstelle zwischen Pflege und Medizin.“ Eine weitere Förderung für Innovationen sind wichtig. Andreas Westerfellhaus, Präsident des Deutschen Pflegerats betont abschließend: „Wir brauchen neue Allianzen zwischen Industrie und Kompetenzträgern, um die Umbrüche zu bewältigen.“

Nicole Egbert stellt eine Studie vor, in der wichtige digitale Kompetenzen für Pflegende identifiziert wurden und spricht fünf Empfehlungen aus:

  1. In der grundständigen Pflegeausbildung sind zwingend Kernkompetenzen in Pflegeinformatik zu berücksichtigen. Unabhängig von Berufsfeldern oder Vertiefung empfehlen wir daher, die in der Tabelle aufgeführten Kernkompetenzbereiche in der Pflegeausbildung zu berücksichtigen.
  2. Die managementbezogenen Kompetenzbereiche müssen so vermittelt werden, dass ein unmittelbarer Bezug zu Informations- und Kommunikationstechnologien im Gesundheitswesen besteht. Die sinnvolle Nutzung von IT muss in einer Gesundheitsorganisation verankert und durchgesetzt werden.
  3. Technikbezogene, rechtliche und ethische Kompetenzen müssen zwingend in einem Gesundheitskontext gelehrt oder gelernt werden. Denn ohne Gesundheitskontext haben diese keine Relevanz für Pflegekräfte.
  4. Die für die verschiedenen Berufsfelder beschriebenen Kernkompetenzbereiche sind in Fort- und Weiterbildungsmaßnahmen für das jeweilige Berufsfeld geeignet zu berücksichtigen.
  5. Kernkompetenzen von Pflegepädagogen müssen sich nach den Kernkompetenzen der Berufsfelder richten. Mit Bezug auf Pflegeinformatik-Kompetenzen bedeutet dies, dass die Pflegepädagogen, diese auch zwingend selbst besitzen müssen. Die Qualität der Lehre ist nur durch eine entsprechend hochqualifizierte Ausbildung der Lehrenden sicherzustellen.

Denn eines ist klar, das betont auch Ingrid Hastedt, Vorsitzende des Vorstands Wohlfahrtswerk für Baden-Württemberg: „Bei der Verbreitung digitaler Kompetenzen muss die Pflegepraxis aktiv unterstützt werden“ – von der Forschung, aber auch vom Bund und den Bildungsträgern.

Lesen Sie was in den sozialen Medien zum Fachsymposium veröffentlicht wurde:
https://storify.com/GI2017/fachsymposium-pflege-4-0