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Lexikon

Classroom Response System

Lehre in Zeiten großer Hörerzahlen 

In vielen Fachdisziplinen werden – insbesondere in Bachelorstudiengängen – obligatorisch zu belegende, einführende Grundlagenveranstaltungen als klassische Frontalvorlesungen angeboten. In stark nachgefragten Studienfächern führt dies häufig zu sehr hohen Teilnehmerzahlen (> 1000). In solchen Veranstaltungen bleibt den Studierenden im Normalfall nur die Rolle passiver Rezipienten, die sich den Vortrag des Dozenten anhören und sich die dargebotenen Inhalte auf unterschiedlichen Wegen nach der Veranstaltung individuell erschließen. Diese Form des Lernens ist angesichts mittlerweile gut fundierter Erkenntnisse der Lehr-/Lernforschung nicht optimal. Konstruktivistische Lerntheorien verstehen erfolgversprechendes Lernen als aktive Auseinandersetzung des Lernenden mit dem Gegenstandsbereich und begreifen den Wissenserwerb als subjektiven Konstruktionsprozess von wahrgenommener Wirklichkeit [3]. Um diesen Prozess anzuregen, werden häufig handlungsorientierte Formen der Didaktik vorgeschlagen, bei denen die Lernenden zu aktiver und selbstständiger Mitarbeit angeregt werden sollen [4]. Solches Lernen in Kooperation mit anderen kann ergänzende Vorteile bieten, da ein kritischer Diskurs mit divergierenden Positionen der Klärung und Präzisierung des eigenen Wissens dienen kann sowie Teamkompetenzen entwickelt werden können, die auch im künftigen Berufsleben der Studierenden von Bedeutung sind. Es stellt sich daher die Frage, wie auch in großen Lehrveranstaltungen solche aktivierenden, selbstgesteuerten und kooperativen Lernphasen integriert werden können. 

Der Einsatz eines  sogenannten  elektronischen Classroom  Response Systems (CRS) {Auch als Live Feedback System, Classroom Communication System, Personal Response System, Audience Response System, Classroom Feedback System, Audience  Paced Feedback, Electronic Response System, Electronic Voting System, Student Response System oder als voting-machine bezeichnet [2, 5–7].}  ist eine Option zur Integration solcher Lernphasen auch in großen Hörsälen. Mittels eines CRS können Studierende während einer Präsenzveranstaltung hinsichtlich einer themenbezogenen Problemstellung befragt und damit zur Auseinandersetzung mit dem Lerngegenstand sowie zur Diskussion mit Kommilitonen und dem Lehrenden angeregt werden. Abbildung 1 gibt einen allgemeinen Überblick über typische Einsatzund Nutzungsszenarien eines webbasierten CRS. 

Lehr-/Lerndesigns für die CRS-Nutzung

 

In der Anfangszeit der Nutzung von CRS ab den 1960er-Jahren stand vor allem das Auszählen der studentischen Antworten auf Single- oder Multiple-Choice-Fragen zur Information und als Rückmeldung für den Lehrenden im Vordergrund. Seit den 1990er-Jahren wurden verstärkt Ansätze entwickelt, welche die Interaktion der Studierenden untereinander mittels Diskussionen und die aktive Auseinandersetzung mit dem Lerngegenstand zum  Ziel haben. In diesem Zuge konnte auch eine Veränderung bei der inhaltlichen Ausgestaltung von Fragen festgestellt werden. Es rückten zunehmend sogenannte konzeptionelle Fragen in den Fokus – gleichwohl im Single- oder Multiple-Choice-Format gestellt – welche darauf abzielen, das tiefgehende Verständnis von fundamentalen wissenschaftlichen Konzepten und Ideen zu thematisieren. Diese eignen sich in besonderer Weise, Diskussionen und damit Lernprozesse anzustoßen [5]. 

Zwei didaktische Konzepte im Zusammenhang mit der Nutzung von CRS haben in den letzten zwei Jahrzehnten besondere Bedeutung erlangt: Peer Instruction [9] und Class-wide Discussions [1]. Mit Peer Instruction wurde ein mediendidaktischer Ansatz vorgestellt und kontinuierlich weiterentwickelt, der ein elektronisches CRS zur Förderung von lernerzentriertem und kooperativem Lehren und Lernen nutzt. Bei einem typischen Ablauf einer auf Peer Instruction ausgelegten Veranstaltung kommen die Studierenden bereits vorbereitet zur Veranstaltung und es stehen während der Veranstaltung – statt der reinen Vermittlung von neuem Stoff – die Beseitigung von Unklarheiten und Fragen, die Diskussion von schwierig verständlichen Konzepten und die Verknüpfung des Stoffes mit bereits Gelerntem im Vordergrund. Typischerweise stellt der Dozent im Anschluss an ein 10- bis 15- minütiges Impulsreferat eine Multiple-Choice-Frage (ein sogenannter ConcepTest) und sammelt die Antworten über ein CRS ein. In Abhängigkeit von der Antwortverteilung wird

a) entweder das Impulsreferat wiederholt und vertieft (bei weniger als 30% korrekten Antworten),

b) es werden Gruppendiskussionen zwischen Studierenden (in der Regel mit den Sitznachbarn) geführt – sogenannte Peer Discussions – und dann noch einmal neu abgestimmt (bei 30 bis 80% korrekten Antworten) oder

c) es werden die noch verbliebenen Unklarheiten nach einer Diskussion im Plenum erläutert (bei 80% korrekten Antworten) und anschließend ein neues Thema besprochen [9].

Der Ablauf beim Class-wide Discussion- Ansatz sieht im Gegensatz dazu zunächst kleine Gruppendiskussionen bzgl. eines ConcepTests vor. Erst danach erfolgt die Abstimmung über das CRS auf Individual- oder Gruppenebene. Schließlich wird die Antwortverteilung im Plenum mit dem Lehrenden in der Rolle des Moderators diskutiert [1]. 

Es gibt zahlreiche weitere Einsatzmöglichkeiten eines CRS in Lehrveranstaltungen, wie bspw. zur Klausurvorbereitung, zur Wiederholung vorangegangener Inhalte zu Beginn einer Veranstaltung, zur Kontrolle am Ende eines Themengebiets, als motivierender Einstieg zu Beginn eines neuen Themengebiets oder zum Einsammeln von Veranstaltungsfeedbacks. 

 

Entwicklungsstufen bei elektronischen CRS 

 

Die ersten elektronischen CRS wurden in den 1950er-Jahren von der amerikanischen Luftwaffe zu Weiterbildungszwecken entwickelt. Auszubildende mussten damit in Trainingsfilme integrierte Multiple-Choice-Fragen beantworten. In den 1960er-Jahren wurden solche Systeme zum ersten Mal in der Hochschullehre – in Stanford und an der Cornell University – eingesetzt. Diese Systeme waren zunächst sehr unzuverlässig, teuer und schwierig zu nutzen. Das Jahr 1985 markiert einen wichtigen Meilenstein, da die erste Version des deutlich einfacher zu nutzenden CRS ,,ClassTalk“ vorgestellt wurde. Studierende konnten über taschenrechnergroße Geräte, die alle mit einem zentralen Rechner im Hörsaal verkabelt waren, auf Multiple-Choice- Fragen antworten. Gleichwohl waren die Kosten für ClassTalk, unter anderem durch diese Verkabelung, sehr hoch und die Nutzung nur auf verkabelte Hörsäle beschränkt [5]. 

Seit Beginn der 1990er-Jahre werden CRS kommerziell vertrieben; zunächst vor allem noch als verkabelte Systeme, zunehmend dann aber entweder als kostengünstige Infrarot- oder als teurere funkbasierte Systeme. Studierende erhalten vor Beginn einer Lehrveranstaltung sogenannte ,,Clicker“ ausgeteilt, über welche sie auf während der Veranstaltung gestellte Fragen antworten können. {An manchen Hochschulen – vor allem in Nordamerika – erhalten Studierende zu Beginn des Studiums einen persönlichen Clicker oder müssen diesen kaufen.} Ein mit dem Dozentenrechner verbundenes Empfangsgerät ermöglicht die Verbindung zwischen den Clickern und der auf dem Dozentenrechner installierten Umfragesoftware. Ein weiterer Entwicklungsschrittwurde durch die Verbreitung von Internettechnologie und WLAN in den Hörsälen in Verbindungmit der mittlerweile fast flächendeckenden Ausstattung von Studierendenmit internetfähigen Endgeräten (Laptops, Tablets, Smartphones etc.) vollzogen. Heute können Studierende und Lehrende ein CRS auch als App oder als Software as a Service (SaaS) über das Web nutzen. Das Austeilen, Einsammeln und Warten von Clickern entfällt damit [7]. Gleichzeitig ist eine Installation von Software auf dem Dozentenrechner oft nicht mehr notwendig. Insbesondere für Lehrende werden damit bislang bestehende Nutzungshürden abgebaut. Gleichwohlhaben auch heute noch viele Hochschulen physische Clicker im Einsatz. Die Gründe dafür sind divers. Beispielhaft sind die bereits getätigten Investitionen, die teilweise unzureichende Abdeckung mit WLAN in sehr großen Hörsälen, die Vermeidung des Ausschlusses von Studierenden ohne internetfähige Endgeräte oder in webbasierten Systemen teilweise (noch) nicht implementierte Funktionalitäten zu nennen.

 Der Markt für CRS hat sich in den letzten Jahren sehr dynamisch, insbesondere im Bereich von webbasierten Lösungen entwickelt. Tabelle 1 gibt einen Überblick über ausgewählte Produkte mit einem Fokus auf webbasierte Angebote sowie Anbieter mit einembreiten Produktspektrum. {Die Tabelle ist bei Weitem nicht vollständig. Eine Marktrecherche im August 2012 ergab ca. 40 kommerzielle Anbieter [7]. Eine weitere Übersicht ist bei EDUCAUSE unter www.educause.edu/library/clickers zu finden.}

Wichtige Vorteile von elektronischen CRS im Vergleich zu einfacheren CRS (Handzeichen, Flash Cards) liegen in der Wahrung der Anonymität des Einzelnen sowie einer exakten Auswertung und für alle sichtbaren Anzeige der eingegangenen Antworten. Darüber hinaus können Fragen und Antworten im System dauerhaft gespeichert und damit für eine Nachbereitung und Weiterentwicklung der Veranstaltung verwendet werden. 

Am Beispiel von PINGO (siehe Tab. 1) werden im Folgenden typische Kernfunktionalitäten eines webbasierten CRS kurz vorgestellt. {Zur Architektur vgl. bspw. [7] oder [8].} Zur Nutzung des Systems können sich Dozenten einmalig im System registrieren. Als registrierte Nutzer haben sie die Möglichkeit, Fragen in unterschiedlichen Formaten sowie die dazugehörigen Antwortalternativen zu definieren und im System zu hinterlegen oder spontan während einer Veranstaltung zu generieren. Dabei wird jede Frage einer sogenannten Session, welche durch einen eindeutigen vierstelligen Code identifiziert wird, zugeordnet. Die Fragen können dann mit einem eindeutigen Klick auf die Endgeräte der Studierenden übertragen und innerhalb eines definierten Zeitfensters beantwortet werden. Nach Ablauf des Zeitfensters werden die Antworten der Studierenden als Balkendiagramm in der Dozentenansicht dargestellt. Dieses kann mit oder unter den Studierenden diskutiert werden. Zur Teilnahme an der Befragungen können sich die Studierenden anonym mit dem vierstelligen Code für die jeweilige Session anmelden. Sobals sie für die Session angemeldet sind, haben sie die Möglichkeit, alle in dieser Session gestellten Fragen zu beantworten.

Vorteile und Probleme des Einsatzes von CRS

Parallel zur Entwicklung und Erprobung von Lehr-/Lerndesigns für die CRS-Nutzung wurden seit den 1990er-Jahren zahlreiche qualitative und quantitative Studien zur Evaluation des Einsatzes von CRS in verschiedensten Fachdisziplinen durchgeführt. Die Evaluation des Peer Instruction-Ansatzes ist dabei bislang am weitesten fortgeschritten und die Befunde sind einheitlich positiv.

Die Evaluation des Einsatzes von CRS erstreckt sich auf viele weitere Einsatzszenarios. In einer Meta-Studie [6] werden die mit dem Einsatz von CRS verbundenen, möglichen Vorteile in drei Kategorien eingeteilt: Vorteile (1) für die Durchführung einer Lehrveranstaltung, (2) für den individuellen Lernprozess und -erfolg sowie (3) für die Leistungsmessung und -bewertung. Im Hinblick auf die Durchführung einer Lehrveranstaltung werden besonders häufig die Erhöhung der Aufmerksamkeit und des Engagements der Studierenden genannt. Bezüglich des Lernprozesses und -erfolges werden die verstärkte Interaktion der Studierenden sowie die Möglichkeit der situativen Entscheidung über die Ausgestaltung des Fortgangs einer Lehrveranstaltung sehr häufig als Vorzüge genannt. Zudem wird oft ein positiver Zusammenhang zwischen dem CRS-Einsatz und dem Lernerfolg postuliert. Die größten Vorteile durch die Leistungsmessung werden in der Förderung des Verständnisses und der Lehrqualität gesehen.

Gleichwohl werden auch mögliche Nachteile und Herausforderungen beim Einsatz von CRS diskutiert [6]:

Formulierung ,,guter“ Fragen: Es besteht weitgehend Einigkeit in der Literatur darüber, durch welche Charakteristika sich ,,gute“ Fragen auszeichnen, bislang existieren jedoch – vor allem außerhalb der Naturwissenschaften – nur wenige etablierte und vor allem fast keine fundiert evaluierten Fragenkataloge.

Benötigte Zeit/,,sinnvolle“ Einbindung in das Lehr-/Lerndesign: Teilweise wird die Sorge formuliert, dass durch die Nutzung von CRS (etwas) weniger Zeit zur Vermittlung des vorgesehenen Stoffes zur Verfügung stehe. Einem handlungsorientierten Lernverständnis folgend geht es jedoch genau nicht um die ,,Vermittlung“, sondern vielmehr um die Gestaltung von kooperativen Lernumgebungen. Dies richtet die Überlegungen auf die Gestaltung des Lehr-/Lerndesigns der Veranstaltung samt Vor-und Nachbereitung im Allgemeinen und die ,,sinnvolle“ Einbindung von CRS während eines Veranstaltungstermins im Speziellen.

Ein elektronisches CRS ist folglich ein Artefakt, das zur Umsetzung verschiedenster Lehr-/Lerndesigns dienen kann. Eine intuitive, stabile, flexible und performante Software ist dabei nur die notwendige Bedingung für den Lernerfolg. Dieser wird sich nur durch Anwendung von adäquaten Lehr-/Lerndesigns einstellen. Daher ist Draper und Brown [2] zuzustimmen, wenn diese feststellen, dass der Technologieeinsatz keine notwendige Bedingung für mehr Interaktion darstellt, aber dass erwünschte Effekte mit Technologie einfacher, mit weniger Aufwand und in unterschiedlichsten Kontexten erreicht werden können.

Literatur

  1. Dufresne R, Gerace W, Leonard W, Mestre J, Wenk L (1996) Classtalk: a classroom communication system for active learning. J Comput Higher Educ 7(2):3–47
  2. Draper S, Brown M (2004) Increasing interactivity in lectures using an electronic voting system. J Comput Assist Learn 20(2):81–94
  3. von Glasersfeld E (1996) Radikaler Konstruktivismus. Ideen, Ergebnisse, Probleme. Suhrkamp Verlag, Frankfurt am Main
  4. Hake R (1998) Interactive engagement versus traditional methods: a six-thousand student survey of mechanics test data for introductory physics courses. Am J Phys 66(1):64–74
  5. Judson E, Sawada D (2002) Learning from past and present: electronic response systems in college lecture halls. J Comput Math Sci Teach 21(2):167–181
  6. Kay R, LeSage A (2009) Examining the benefits and challenges of using audience response systems: a review of the literature. Comput Educ 53(3):819–827
  7. Kundisch D, Herrmann P, Whittaker M, Fels G, Reinhardt W, Sievers M, Magen-heim J, Beutner M, Zoyke A (2012) Designing a web-based application to support peer instruction for very large groups. Proceedings of the 33rd Int. Conference on Information Systems, Orlando
  8. Magenheim J, Reinhardt W, Kundisch D, Herrmann P, Whittaker M, Beutner M, Zoyke A (2012) Einsatz mobiler Endgeräte zur Verbesserung der Lehrqualität in universitären Großveranstaltungen. Proceedings des E-Learning Symposium, Potsdam
  9. Mazur E (1997) Peer Instruction: A User’s Manual. Englewood Cliffs, Prentice-Hall

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